Fachbereich 3

Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik


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Musik und Bewegung

Ein Studienschwerpunkt der Osnabrücker Musiklehrerausbildung für Grund-, Haupt- und Realschulen

Am Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik der Universität Osnabrück gibt es seit mehr als zehn Jahren regelmäßig in jedem Semester Seminare zu Musik und Tanz. Das Institut kooperiert dabei mit der Antoniusschule in Holzhausen, einer Grundschule im Osnabrücker Land, und der Integrierten Gesamtschule im Osnabrücker Stadtteil Eversburg. Die wichtigsten Ziele sind die Entdeckung, Wertschätzung und Förderung individueller Potenziale der Schülerinnen und Schüler.

Erprobt und erforscht werden überdies mögliche Wege individueller Förderung für eine Vielfalt von Bildungsbiographien. Die Studierenden entwickeln in diesen Seminaren gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern von Klasse eins bis Klasse zehn immer neue, eigene Tänze. Die Erfahrungen aus den dabei sichtbaren Interaktionen und Lernprozessen werden gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus den kooperierenden Schulen reflektiert.

Es geht dabei um folgende Fragen: Können die Schülerinnen und Schüler sich selbst klare und realistische Ziele setzen, sich zur Umsetzung ihrer Ziele motivieren, dabei Fehler und Ungenauigkeiten wahrnehmen und auch mit Misserfolgserlebnissen gut umgehen? Damit sind grundlegende Selbstkompetenzen angesprochen, die über kurzfristige schulische Leistungsverbesserungen weit hinausgehen.

Über die Konzeption der Seminare und Kooperationsprojekte, über einzelne Klassen und an Fallbeispielen über einzelne Kinder entstehen unter strenger Wahrung des personenbezogenen Datenschutzes Hausarbeiten und Klausurtexte. Situationen aus den Projekten, Entwicklungen einzelner Kinder oder ganzer Klassen sind beliebte und lohnende Themen für Lehramtsprüfungen und wissenschaftliche Abschluss- sowie Qualifikationsarbeiten von der Bachelor- über die Masterarbeit bis hin zur Dissertation.

Unsere Kooperationsschulen, die Antoniusschule in Holzhausen im Landkreis Osnabrück und die Integrierte Gesamtschule Eversburg in der Stadt Osnabrück machen es sich in besonderer Weise zur Aufgabe, alle Schülerinnen und Schüler mitzunehmen. Die Zusammensetzungen der Klassen spiegeln den gesellschaftlichen Querschnitt in seiner Vielfalt wieder. Zugleich ist kooperatives Lernen mit- und voneinander ihr erklärtes und zentrales Ziel.

Mit immer neuen Erfahrungs- und Unterrichtsangeboten wollen beide Schulen die Bildungschancen der ihnen anvertrauten Kinder deutlich und nachhaltig verbessern. Deshalb unterstützten sie neben anderen Projekten unsere Studien zu den individuellen Lerneinstellungen und Leistungsmotivationen und den für schulisches Lernen entscheidend wichtigen Handlungskontrollstilen und Selbstkompetenzen der Schülerinnen und Schüler.

 

Alters- und Entwicklungsstufen übergreifende Studien

Den alltäglichen Prozessen nonverbaler Synchronisation und Koordination kommt in allen Lern- und Lebensbereichen von Kindern und Jugendlichen eine nur schwer zu überschätzende Bedeutung zu. Eines der Alleinstellungsmerkmale der in Osnabrück für künftige Grund-, Haupt- und Realschullehrer entwickelten und auch für das Lehramt an Gymnasien offenen Lehr- und Forschungskonzeption besteht darin, dass die hier zur Anwendung kommenden Methoden grundsätzlich vom Grundschul- bis ins junge Erwachsenenalter hinein anwendbar sind.

Bei den Untersuchungen der letzten Jahre gehörte dies zu den überraschendsten Teilergebnissen: Viele der für die jüngeren Grundschulkinder entwickelten musikbezogenen Bewegungsaufgaben sind für ältere Kinder und selbst für Jugendliche aus einer großen Spanne von Alters- und Entwicklungsstufen hoch motivierend. Ebenso eignen sich die verwendeten Systeme der Bewegungsbeobachtung und weitere sytematische Studien für ganz unterschiedliche Anwendungsbereiche von der frühen Kindheit bis zum jungen Erwachsenenalter.

Unsere schulischen Kooperationspartner haben großes Interesse an den Methoden und Ergebnissen der von ihnen umfangreich unterstützten Lehrveranstaltungen und Projekte. Die Klassenlehrerinnen und -lehrer besuchen regelmäßig in jedem Semester die jeweiligen Seminare während wenigstens einer Sitzung. So erhalten die Studierenden kompetente Rückmeldungen aus der Schule über die Voraussetzungen, aktuellen Entwicklungen und über die Folgen und Auswirkungen ihrer Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen für die Schule und für den Unterricht. Und umgekehrt werden die Schulen über die Konsequenzen für Forschung und Lehre umfassend informiert.

Synchronisation und Koordination und ihre Bedeutung für die Kommunikation

Mögliche Erfahrungen aus den Kooperationen werden im Folgenden am Beispiel einer Bewegungsübung unter vielen weiteren skizziert. In den vier Ecken einer Turnhalle stehen Videokameras mit Fokus auf die Hallenmitte in einer Erhöhung, die das Filmen aus einer abgeschwächten Vogelperspektive ermöglicht. Aufgezeichnet werden Kinder dritter Klassen und Studierende, die miteinander tanzen. Die Studierenden bilden einen Innenkreis mit Blick nach außen, die Schülerinnen und Schüler den Außenkreis mit Blick nach innen. Das Modell sieht ein partnerschaftliches Verhältnis vor. Schüler und Studierende wenden sich einander paarweise zu.

Aufgabe der Paare ist es, teils von den Studierenden vorgegebene, teils von den Schülerinnen und Schülern spontan entwickelte Spiegelbewegungen zur Musik passend durchzuführen. Die Studierenden geben die Bewegungen während eines ersten, zuvor im Seminar choreographierten Teils der Testung vor. Dabei versuchen die Schülerinnen und Schüler, die Studierenden synchron zu spiegeln. Nach der letzten standardisierten Bewegung übergeben die Studierenden die Führung durch eine zuvor vereinbarte und die Schülerinnen und Schüler zur Führungsübernahme auffordernde Geste deutlich an die Schülerinnen und Schüler. Bis zum Ende der Musik ist der weitere Führungsverlauf frei und ergibt sich aus der lebendigen Interaktion. Endet die Musik, verabschieden sich die Studierenden durch eine Abschiedsgeste von ihren Schülern und gehen im Uhrzeigersinn zum nächsten Schüler oder zur nächsten Schülerin weiter.

Nach der Führungsübergabe der Studierenden zeigen sich bei genauer Beobachtung individuelle Unterschiede im Verhalten der Schülerinnen und Schüler. Viele übernehmen die Führung so rasch und selbstverständlich, dabei konzentriert, ruhig und fließend, dass der Wechsel von Studierenden zu Schülerinnen oder Schülern in der tänzerischen Bewegungsführung kaum zu bemerken ist. Andere zeigen noch Unsicherheiten und machen so deutlich, dass sie zwischen ihren eigenen Bewegungsbedürfnissen und den Erwartungen der Studierenden noch nicht sicher unterscheiden.

In den Gesprächen zwischen den kooperierenden Lehrerinnen und Lehrern und den Studierenden über die Schülerinnen und Schüler werden anschließend Möglichkeiten individueller Förderung besprochen. Bei genauer Beobachtung der tänzerischen Bewegungen von Schülerinnen und Schülern wird von Fall zu Fall deutlich, dass sie selbst Expertinnen sind für das, was sie zu ihrer persönlichen und schulischen Entwicklung benötigen. Die Kinder und Jugendlichen zeigen was sie brauchen, wenn wir Erwachsenen lernen und üben, genau hinzuschauen.

Wir nehmen uns daher in den Seminaren die zur Beantwortung der folgenden Fragen notwendige Zeit: Was brauchen Schülerinnen und Schüler, um ihren Selbstzugang im Schulalltag zu verbessern? Was kann ihnen dabei helfen, die eigenen Potenziale und Entwicklungschancen genauer wahrzunehmen und besser als bisher zu nutzen? Wie können sie lernen, ihre eigenen Bedürfnisse von den Anforderungen anderer an sie genau zu unterscheiden und sich Ziele zu setzen und zu verwirklichen, die zu ihrer Lebensgeschichte und Person passen?

Der Blick von außen kann auch unseren Kooperationslehrerinnen und -lehrern dabei helfen, die Schülerinnen und Schüler ihrer Klassen einmal ganz anders als im Schulalltag zu sehen. Und umgekehrt hilft die über Jahre und Jahrzehnte gewonnene Expertise erfahrener Pädagoginnen und Pädagogen den Studierenden, noch genauer und differenzierter hinzuschauen.

Die Kooperation mit einer Schulklasse dauert oft zwei Jahre und nicht selten sogar länger. In dieser Zeit werden von Semester zu Semester und von Schuljahr zu Schuljahr Entwicklungen und Veränderungen der Kinder sichtbar. Die daraus resultierenden Erfahrungen sensibilisieren die Studierenden als künftigen Kolleginnen und Kollegen an den Schulen für die Wahrnehmung kleinster Anzeichen von Äußerungen der Schülerinnen und Schüler hinsichtlich ihrer subjektiven und berechtigten Entwicklungs- und Förderbedürfnisse.

Weiterführende Literatur zum Thema:

Müßgens, B. (2015). „... das einzelne Kind im Blick.“ Musik und Bewegung als Wege zur Förderung der Selbstkompetenzen. In: Solzbacher, Claudia et al.: Fachdidaktik und individuelle Förderung in der Grundschule. Perspektiven auf Unterricht in heterogenen Lerngruppen. Baltmannsweiler: Hohengehren: Schneider, S. 165.

Ders. (2014). "Musik und Tanz verbessern den Selbstzugang“, In: Claudia Solzbacher und Kristina Calvert: „Ich schaff' das schon...“. Wie Kinder Selbstkompetenzen entwickeln können. Reihe: Im Dialog. Hg. vom Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung. Freiburg: Herder, S. 73..

Ders. (2014). "Tanzprojekte zwischen Begabungsforschung und Schulpraxis in der Grundschullehrerausbildung". In: Inga Hunger und Renate Zimmer (Hg.): Inklusion bewegt. Herausforderungen für die frühkindliche Bildung. Osnabrück: Hofmann, S. 285.

 

Bernhard Müßgens